
Nach langem habe ich mal wieder Arthur Pinks "Souveränität Gottes" vom Büchergestell genommen. Bereits in der Einleitung trafen mich die Worte Pinks, und regten mich an, meine Verkündigung der vergangenen Monate zu überdenken.
"Nahezu jeder lehrmässige Irrtum ist eigentlich verdrehte Wahrheit, falsch geteilte Wahrheit, übertrieben verfochtene und gelehrte Wahrheit. Das hübscheste Gesicht auf Erden, mit den anmutigsten Zügen, würde schnell hässlich und unansehnlich werden, wenn ein Organ unaufhörlich wüchse, während die anderen unterentwickelt blieben. Schönheit ist in erster Linie eine Frage der Proportion. So ist es auch mit dem Wort Gottes: seine Schönheit und Seligkeit treten am besten hervor, wenn seine mannigfache Weisheit in ihren wahren Proportionen dargestellt wird. Das ist der Punkt, an dem so viele in der Vergangenheit versagt haben. Eine einzelne Linie der Wahrheit Gottes hat diesen oder jenen Menschen dermassen beeindruckt, dass
er sich so sehr darauf konzentrierte, dass dabei nahezu alles andere in Vergessenheit geriet. Irgendein Teil des Wortes Gottes wurde zur „Lieblings-Lehre“ erhoben, und dies wurde oft zum unterscheidenden Merkmal einer Gruppierung. Doch es ist die Pflicht jedes Dieners Gottes, „den ganzen Ratschluss Gottes zu verkündigen“ (Apg 20,27).
Es ist wohl wahr, dass in unserer verderbten Zeit, in der überall der Mensch erhöht wird und „Superman“ zu einem geläufigen Wort geworden ist, eine echte Notwendigkeit besteht, die wunderbare Tatsache der Herrschaft Gottes besonders hervorzuheben. Umso mehr, wo diese ausdrücklich geleugnet wird. Doch selbst hier ist viel Weisheit nötig, damit unser Eifer nicht „mit Unverstand“ sei. Die Worte „Speise zur rechten Zeit“ sollten dem Knecht Gottes immer vor Augen sein. Was die eine Gemeinde dringend braucht, mag für ein andere gerade nicht so nötig sein. Ist jemand in den Predigtdienst einer Gemeinde berufen, wo seine Vorgänger Arminianer waren, dann sollte die vernachlässigte Wahrheit von Gottes Souveränität dargelegt werden – wenn auch mit Vorsicht und Bedacht, damit nicht zuviel „feste Speise“ an „kleine Kinder“ ausgeteilt werde. Das Vorbild Christi in Johannes 16,12: „Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertagen“, muss vor Augen bleiben. Wenn ich andererseits berufen bin, den Dienst in einer calvinistisch geprägten Gemeinde anzutreten, mag es gewinnbringend sein, die Wahrheit von der menschlichen Verantwortung (in ihren vielen Aspekten) zu behandeln. Der Prediger muss nicht das liefern, was die Leute am liebsten hören wollen, sondern was sie am dringendsten brauchen, jene Seiten der Wahrheit, mit denen sie am wenigsten vertraut sind oder die sie am wenigsten in ihrem Wandel sichtbar werden lassen.
Wenn ein Prediger das, was ich soeben empfohlen habe, praktiziert, setzt er sich dem Vorwurf aus, wetterwendisch zu sein. Doch was tut’s, solange er die Zustimmung seines Meisters hat? Er ist nicht berufen, sich selbst treu zu sein, noch
irgendwelchen von Menschen festgelegten Regeln; seine Pflicht ist es, der Heiligen Schrift treu zu sein. Und in der Schrift wird jeder Aspekt oder Wahrheit von einem anderen Aspekt der Wahrheit ausgewogen. Alles hat zwei Seiten, selbst das Wesen Gottes, denn Er ist „Licht“ (1Joh 1,5) und „Liebe“ (1Joh 4,8), und deshalb sind wir aufgefordert, „die Güte und den Ernst Gottes“ zu sehen (Röm 11,22). Wenn wir nur immer über das eine, und niemals über das andere predigen, schaffen wir ein Zerrbild des göttlichen Charakters."
Wo war ich in der Vergangenheit einseitig? Welche "Lieblingswahrheit" mussten die Geschwister über zu lange Zeit ertragen? Schwierig zu sagen, aber dennoch ein etwas intensiveres Nachdenken wert. Und vor allem: Was brauchen meine Geschwister vom Herrn her? Was will der Herr der Gemeinde sagen?